Gartenkolonie Loraberg
Unsere Geschichte – 125 Jahre Loraberg
Unsere Chronik als Ausstellung auf unserer Jubiläumsfeier (2023)
Unsere Chronik als Ausstellung auf unserer Jubiläumsfeier (2023)

Die Anfänge: In der „Prairie de Kölln“

Unsere Laubenkolonie entstand auf einem wildem Gebiet. Ein französischsprachiger Stadtplan von Berlin aus dem Jahr 1883 nennt das gesamte Gebiet zwischen der heutigen Karl- Marx-Straße und der Spree in Treptow „Prairie de Kölln“. Und wild wie in einer Prairie geht es in der „Prairie de Kölln“, auf den „Köllnischen Wiesen“, damals mitunter auch zu.

"Prairie de Kölln", Berliner Stadtplansammlung
"Prairie de Kölln", Berliner Stadtplansammlung

Im Hypothekenbuch von Alt-Cölln unter Vol. 2 aus dem Jahr 1868 ist unsere Laubenkolonie noch als Hauswiese ausgewiesen. 1874 stimmen die Wiesenbesitzer darüber ab, ob die Köllnischen Wiesen Treptow oder Rixdorf angegliedert werden sollen. Sie entscheiden sich für Rixdorf. Zu dieser Zeit streifen noch Jäger durch die „Köllnischen Wiesen“ und schießen Wild. Das Gebiet ist noch komplett unbebaut.

Aber Berlin wächst und wächst, und mit Berlin auch das benachbarte Rixdorf, das erst 1912 Neukölln heißen und erst ab 1920 zu Berlin gehören wird. Zwischen 1875 verdoppelt sich die Einwohnerzahl Berlins, die von Rixdorf versechsfacht sich sogar. Überall wachsen die so typischen Gründerzeit-Mietskasernen mit ihren vielen Hinterhöfen aus dem Boden. Auch auf den Köllnischen Wiesen machen jetzt Bodenspekulanten Jagd. Die Gemeinde Rixdorf arbeitet an einem Bebauungsplan.

Die Anfänge: Ein neuer Kiez entsteht

Am 29. April 1883 berichtet die Norddeutsche Allgemeine Zeitung in ihrer Morgenausgabe, die „Separation“ der Köllnischen Wiesen sei abgeschlossen, das Terrain „nach dem für dasselbe festgesetzten Bebauungsplan mit Straßen durchzogen.“ Man sieht es der auf „Karte von den zum Gemeindebezirk Rixdorf gehörigen Coellnischen Wiesen“ aus dem Jahr 1887. Die Straßen haben vorerst keine Namen, sondern nur Nummern. Bald wird unsere Laubenkolonie zwischen den Straßen-Nummern 33 (heutige Brockenstraße), Nummer 37 (Harzer Straße), Nummer 35 (erst Köllnisches Ufer, dann Kiehlufer) entstehen.

Neuer Kiez, Landesarchiv Berlin
Neuer Kiez, Landesarchiv Berlin

Einen Teil unserer „Hauswiese“ hatten sich am 25. Mai 1881 zwei Fabrikanten namens Koch und Bein reservieren lassen. Am 13. März 1884 hat der Fabrikant Bein seinen Anteil für fünftausend Goldmark an den Brauereibesitzer Weymar aus Mühlhausen in Thüringen verkauft. Auf dem Plan von 1887 liest man neben dem Namen „Weymar“ auch „Kochsche Erben“. Das ist die Erbengemeinschaft von Anna Schwarzlose, geb. Koch, deren Mann eine Drogerie- und Kolonialwarenhandlung in der Leipziger Straße betrieb und 1869 das Prädikat des königlichen Hoflieferanten erhalten hatte. Die Ecke unten links gehört den „Nünnickeschen Erben“, über die nichts weiter bekannt ist.

Gründung der Laubenkolonie Loraberg

Unsere Laubenkolonie Loraberg gründet sich am 24. November 1898. Ein Foto, aufgenommen etwas mehr als zwanzig Jahre später, zeigt stolze Kolonistinnen und Kolonisten. Akten der Gründung unserer Kolonie sind nicht überliefert. Auch keine Dokumente, die von den Anfangsjahren des Kolonielebens berichten. Was wir wissen: Unsere Kolonie eine der ältesten noch bestehenden Laubenkolonien Neuköllns, das bis 1912 Rixdorf heißt.

Loraberg-Kolonistinnen und -Kolonisten, ca. 1920
Loraberg-Kolonistinnen und -Kolonisten, ca. 1920

Gebaut wird auf den Köllnischen Wiesen ab den 1880er-Jahren zunächst nur entlang der heutigen Sonnenallee und nahe des Ortskerns von Rixdorf. Im Rest der „Prairie de Kölln“ vermieten „Generalpächter“ das Brachland an Laubenkolonisten. Die Namen der Kolonien klingen wie Zeitkolorit: „Bauer’s Ruh“, „Eismeer“, „Süßer Grund“, „Wild-Amerika“, „Kamerun“, „Friedrichsthal“, „Storchnest“, „Japan“, „Alpenthal“, „Oberschlesische Gesandtschaft“ oder „Durstighaufen“.

Vermutlich standen auch auf dem „Loraberg“ schon Lauben, bevor es zur offiziellen Gründung kam. Die Gründung eines „Pflanzvereins“ war allerdings ratsam, um sich gegen die Umtriebe und die „Herrschgefühle der Laubenkolonie-Generalpächter“ zu wehren, von denen die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ am 19. Juni 1907 aus der unmittelbaren Nachbarschaft vom Loraberg berichtet. In der Kolonie „Zum Rehbock“ in der Elsenstraße Ecke Köllnisches Ufer (heute Kiehlufer) greife der Generalpächter namens Ludike bei Meinungsverschiedenheiten rasch zur Drohung „Herunterschmeißen!“

Körperliche Ertüchtigung im Freien

Dass unsere Kolonie Loraberg von Kolonisten gegründet wurde, die im sozialdemokratischen Milieu fest verankert waren, darauf weist eine Baugenehmigung aus dem Jahr 1901 hin. Die „Freie Turnerschaft Rixdorf-Britz“ beantragt unter Beifügung einer Skizze, auf dem Terrain der Laubenkolonie „Loraberg“ zwischen Wiesengraben und Harzer Straße einen Schuppen samt „Klosets“ zu errichten. Ein Turn- und Kinderspielplatz ist ebenfalls angelegt.

Antrag Schuppen, Landesarchiv Berlin


Die Rixdorfer Laubenkolonien sind sozialdemokratisch geprägt, ihre Gärtnerinnen und Gärtner aktiv in einem Geflecht von sozialdemokratischen Arbeitsbildungs-, Gesangs-, Turn-, Wander- und Kleingartenvereinen

Abteilungen der „Freien Turnerschaft Rixdorf-Britz“ treten im Jahr 1898 auf dem Stiftungsfest des „Frauen- und Mädchen-Bildungsvereins für Rixdorf und Umgegend“ ebenso auf wie beim Parteifest der Rixdorfer Sozialdemokraten anlässlich des Arbeiterfeiertags am 1. Mai 1899.

Vom Wiesengraben zum Schiffahrtskanal

Wo heute der Neuköllner Schifffahrtskanal an unserer Kolonie vorbeiführt, war anfangs nur ein „Wiesengraben“. Ein schmales Flies, 5 Meter breit, Flussrichtung von Rudow kommend nach Nordwesten. Im Sommer konnte man darin baden, im Winter Schlittschuhlaufen, sofern man sich Schlittschuhe leisten konnte.

Der Wiesengraben führe den Unrat von fast ganz Rixdorf mit sich, bemängelt der Vorwärts 1893 unter der Überschrift „Schöne Gegenden“. Eine „so dicke Schicht von verpestenden Gestank verbreitendem Unrath habe sich an der Mündung in den Landwehrkanal gebildet, dass sie Widerstandsfähigkeit genug besitzt, große leere Blechkannen und zerbrochenes Geschirr zu tragen. Das Wasser des Grabens ist angefüllt mit Fäkalien.“ Das bessert sich, als die Rixdorfer Kanalisation in Betrieb genommen wird.

Im Jahr 1902 wird der Wiesengraben von Höhe der Ringbahn, die es damals schon gibt, bis zum Landwehrkanal auf 16 Meter Breite ausgebaut – als Vorfluter für die neue Rixdorfer Kanalisation und zur Trockenlegung der Köllnischen Wiesen. Über diesen „Rixdorfer Stichkanal“ aus Richtung Landwehrkanal kommend tuckern jetzt Lastkähne mit Ziegeln und Holz für die vielen umliegenden Baustellen an unserer Kolonie vorbei. Sie bringen auch große Kohlelieferungen für die Städtische Gasanstalt an der Teupitzer Straße, zwei Straßen südöstlich von Loraberg. 1912/13 wird der Rixdorfer Stichkanal bis zum Teltowkanal verlängert. 2.500 Schiffe fahren im Jahr nach der Eröffnung des „Neuköllner Schiffahrtskanals“ an unserer Kolonie vorbei. Binnen weniger Jahrzehnte wird aus dem beschaulichen Rixdorf mit seinen 15.000 Einwohnern im Jahr 1874 eine Stadt, die 250.000 Einwohner zählt und sich 1912 ihren neuen Namen gibt: Neukölln.

Mit vereinten Kräften

Laubenkolonisten sind in der Mehrheit kinderreiche Arbeiterfamilien. Ihre Lebensbedingungen in den neuen Mietskasernen sind beengt und unhygienisch. Es kam vor, dass ganze Familien aus der Not heraus in ihre Laube umsiedeln, um einer kalten Kellerwohnung oder der Enge eines mit acht Personen bewohnten verschimmelten Zimmers in einem dunklen dritten Hinterhof zu entfliehen. Andererseits verdienten viele „Lauben“ den Namen nicht wirklich, waren es doch nur notdürftige Geräteschuppen, zusammengezimmert aus dem, was man fand, oder dem Wenigen, das man sich leisten konnte.

50.000 Laubenkolonisten zählen Berlin und die Berliner Vororte um die Jahrhundertwende. 1901 gründen acht Kolonien die „Vereinigung sämtlicher Pflanzervereine Berlins und Umgegend“, die sich ab 1911 „Verband der Laubenkolonisten Berlins und Umgebung“ nennt. 1915 gehören schon 159 Kolonien mit 13.000 Mitgliedern dazu. Wann Loraberg beitritt, ist nicht bekannt. Pfingsten 1921 wird auf einer überregionalen Kleingärtner versammlung in Berlin-Neukölln beschlossen, einen „Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands“ zu gründen.

Bezirksverband Berlin-Süden der Kleingärtner e.V.
Der „Bezirksverband Berlin-Süden der Kleingärtner e. V.“ wurde bereits 1901 gegründet. In ganz Neukölln gibt es heute noch etwa 9.300 Kleingartenparzellen – nur Pankow hat mehr. Der Bezirksverband Berlin-Süden vertritt die Interessen der Neuköllner Kleingärten und unterstützt sie bei kleinen und großen Themen sowie bei der Verwaltung und bei rechtlichen Angelegenheiten.
www.bv-sueden.de

Landesverband Berlin der Gartenfreunde e.V.
Dem „Landesverband Berlin der Gartenfreunde e. V.“ gehören als Mitglieder achtzehn Bezirksverbände aus den Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf, Lichtenberg, Mahrzahn-Hellersdorf, Mitte, Neukölln, Pankow, Reinickendorf, Spandau, Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg und Treptow-Köpenick sowie eine Bezirksgruppe der „Siedler & Eigenheimer“ an. Der Verband vertritt 66.134 Kleingartenpächter, zusammengeschlossen in 736 Kleingartenanlagen, sowie 137 Siedler und Eigenheimbesitzer.
www.gartenfreunde-berlin.de

Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands e.V.
Der heutige „Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands e.V.“ vertritt 889.971 Kleingärten in 13.310 Kleingartenvereinen. Diese sind zusammengeschlossen in 503 Stadt-, Kreis, Bezirks- oder Regionalverbänden und 20 Landesverbänden. Nach Sachsen mit 184.315 Pächtern und Sachsen-Anhalt mit 85.916 Pächtern ist das Land Berlin mit seinen rund 66.000 Pächtern an dritter Stelle, was erstaunlich ist, weil Berlin kein Flächenland ist. Ende 2022 fand das Richtfest für das neue Bundeszentrum an der Hermannstraße in Neukölln statt – damit kehrt der Bundesverband in den Bezirk zurück, in dem vor über 100 Jahren der erste deutschlandweite Zusammenschluss von Kleingartenvereinen zum damaligen „Reichsverband“ beschlossen wurde.
kleingarten-bund.de

Die Kleingärtnerin – und die Kartoffeln

Die Beilage „Unterhaltungsblatt des Vorwärts“ veröffentlicht Anfang April 1901 eine Reportage mit dem Titel „Frühling in der Hasenheide“. Die dort beschriebene Szene in einer Laubenkolonie in der Hasenheide hätte man genau so vermutlich auch auf Loraberg beobachten können: „In der Laubenkolonie arbeiten sie schon: die Frauen graben und säen, die Männer zimmern, und es liegt ein Glanz auf den verwetterten Gesichtern, ein wunderbarer Glanz. Frühling. Frühling!“

„Der“ Kleingärtner, also die Person, die tatsächlich gärtnerte, Kartoffeln und Gemüse anbaute, Obst erntete und einmachte, das war damals vor allem die Frau. Aber Rechte im Verein hatten die Frauen nicht. Dem Protokoll einer Kolonie in Treptow vom Januar 1918 lässt sich entnehmen, dass Frauen bei den Versammlungen bestenfalls bei geöffneten Türen im Nebenraum sitzen durften. Und dabei haben viele Frauen während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 die Parzelle ganz allein bewirtschaftet und instandgehalten, nachdem ihre Männer zum Kriegsdienst eingezogen worden waren. „Witwengärten“ nannte man die Parzellen der Frauen, deren Männer gefallen waren.

Baut mehr Kartoffeln“, denn „Die deutsche Kartoffel muss England besiegen“. Ein Appell während des Ersten Weltkrieges an „Landwirte und Landfrauen“, aber auch an Kleingärtner. Der Kleingarten im Kriegsdienst. Gegen England und die englische Blockadepolitik. Und gegen den eigenen Hunger. Die Zentralstelle für Volkswohlfahrt hat errechnet: „Bei nur einigem Fleiße und günstiger Witterung ist es möglich, den Bedarf einer Familie an Gemüsen für die Sommermonate und wohl noch einen Teil der Kartoffeln für den Winter herauszuwirtschaften.“ Die schon immer betriebene Haltung von Kaninchen, Hühnern, Tauben oder Ziegen macht einen Unterschied auf dem Teller. Zur Erntezeit empfiehlt es sich, die Parzelle zu bewachen.

Die dunklen Jahre

Auch nach Ende des Ersten Weltkriegs, in der Weimarer Republik, sind die Berliner Kleingärtner und Kleingärtnerinnen in der großen Mehrheit gelernte oder ungelernte Arbeiterinnern und Arbeiter. Sie sind bestrebt, sich ihre kleine Scholle dauerhaft zu sichern, nicht mehr Jahr für Jahr um die Verlängerung des Pachtvertrages zu bangen. Viele Familie wohnen in den Sommermonaten in ihrer Laube, für manche ist sie, auch wenn es nur eine Bretterbude ist, ihr einziges Zuhause. Das dauerhafte Wohnen in der Laube ist zwar gesetzlich verboten, wird aber aufgrund der Wohnungsnot durch einen Erlass des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom Juli 1920 toleriert. Lauben dürfen jetzt bis zu 30 m2 groß sein, die Veranden bis zu 10 m2. Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 haben fünf Prozent der Laubenbesitzer keinen festen Wohnsitz.

Die Satzung des „Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands“ von 1922 hatte eine „Fernhaltung parteipolitischer und konfessioneller Bestrebungen“ festgelegt. Damit ist es vorbei, als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen. Der Kleingärtnerverband wird gleichgeschaltet. Das heißt: In Neukölln werden 300 Kleingartenvereine aufgelöst, die Selbstverwaltung wird abgeschafft. Gewählte Vorstände, die, sofern politisch aktiv, überwiegend Sozialisten oder Kommunisten sind, werden abgesetzt. Die Kleingartenkolonien werden in Blöcke und Vereinsgruppen zusammengefasst, NSDAP-treue Vereinsführer und Blockwarte übernehmen das Kommando, die politische Kontrolle und bestimmen die Marschordnung der Sommerfeste. Jüdische Bürger dürfen keinen Kleingarten mehr pachten.

Die neue, menschenverachtende Anordnung gilt auch für den Loraberg. In einem am 1. August 1937 zwischen der „Provinzgruppe Berlin-Brandenburg und Grenzmark der Kleingärtner e.V.“ mit einem neuen Mitglied der „Vereinsgruppe Block 7, Abteilung Loraberg“ abgeschlossenen Pachtvertrag steht in Paragraf 10:. „Der Pächter versichert ausdrücklich, dass er nicht staatsfeindlich eingestellt ist. Sollte ihm eine staatsfeindliche Einstellung nachgewiesen werden, so ist die Provinzgruppe berechtigt, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. Bei einer solchen Kündigung verzichtet der Pächter auf etwaige Schadensersatzansprüche gegen die Provinzgruppe.“ Es kam – sehr vereinzelt – auch vor, dass Kleingartenlauben als Verstecke für Verfolgte, von den Nationalsozialisten verbotene Schriften und Waffen dienten. Mit Verrat oder einer Razzia musste immer gerechnet werden.

1939 werden die Kleingärten wieder Teil einer Kriegswirtschaft. In Zeiten des Bombenkrieges sind Lauben Notunterkünfte für Ausgebombte – 60% der Berliner Lauben sind im Zweiten Weltkrieg bewohnt. Bis die Bomben dann auf die Lauben fallen. Zwei Monate vor Kriegsende, am 18. März 1945, trifft es die Kolonie Loraberg. Laube für Laube geht in Flammen auf, die Erde verbrennt durch den Phosphor. Die Kolonie Loraberg: ein schwarz verkohltes Trümmerfeld.

Aus Trümmern erbaut

Aus Trümmern erbaut anno 1950“ – so steht es noch heute auf unserem Vereinshaus. Halb Berlin ist bei Kriegsende ein Trümmerfeld. Die Wohnungsnot ist größer als je zuvor, viele Familien leben in Ruinen, überbelegten Wohnungen und anderen Provisorien. Im November 1945 wird daher übergangsweise eine „Richtlinien für die Errichtung bewohnbarer Lauben“ erlassen.

Auf Loraberg müssen nun neue Pachtverträge unterzeichnet werden. Darin Paragraph 8: „Der Pächter versichert pflichtgemäß, dass er (...) nicht Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen bzw. inzwischen entnazifiziert worden ist oder dass ihm die Parzelle im Einvernehmen mit der Kolonie oder durch Urteil des Kleingartenschiedsgerichts zugesprochen ist.“ In Bezug auf die so dringend benötigten „Wohnlauben“ wird geregelt: „Die Errichtung von massiven Bauten jeder Art, Wohnlauben, Stallungen und dergl. darf nur mit Genehmigung des Bezirksverbandes nach den Bestimmungen der Baupolizei erfolgen.“ Allerdings ist es verboten, „eine etwa bisher zu Wohnzwecken genutzte Laube zum gleichen Zwecke weiterzuverkaufen.“ Aus der „Wertaufnahme-Urkunde der Brandschutzkasse des Bezirksverbandes Berlin-Süden der Kleingärtner e. V.“ von 1948 für die Parzelle 20 ist zu entnehmen, dass das „Überheizen der Öfen im Winter“ vermieden werden muss, und dass „Feuerleitern und Feuerhaken“ bereitzustellen sind.

In den ersten Nachkriegsjahren herrscht Mangel an allem. Sich mal so richtig satt essen können, dick Butter auf ein Brot streichen: ein Traum, keine Alltagswirklichkeit. Wer eigenes Gemüse anbauen kann, ist im Vorteil. Zur Erntezeit wird die Kolonie Loraberg „Tag und Nacht bewacht“, so steht es in einer kleinen Chronik, die zum 100-jährigen Jubiläum unserer Kolonie geschrieben worden ist. Ausdrücklich verboten ist laut Pachtvertrag allerdings „die Haltung von Großvieh“. Kleintiere sind „so zu halten, dass sie nicht lästig werden und in anderen Gärten keinen Schaden anrichten.“ Ziegen „müssen an der Leine geführt werden.“

Mittendrin und doch am Rand

In den ersten fünf Jahrzehnten nach der Gründung hat unsere Kolonie Loraberg viel erlebt: entstanden auf einer Hauswiese des Dorfes Rixdorf im Deutschen Kaiserreich, nach einem Weltkrieg in der Weimarer Republik zusammen mit Neukölln 1920 Teil von Groß-Berlin geworden, einer Weltstadt mit vier Millionen Einwohnern. Nach einem zweiten Weltkrieg mitten in einer zerbombten Stadt, und doch bald schon am Rand. An dem Rand, der Berlin-West von Berlin-Ost scheidet. Eine Straße nordöstlich von unserer Kolonie, an der Heidelberger Straße Ecke Treptower Straße, wird im Herbst 1961 eine Kleingartenanlage beseitigt, um freie Sicht für die Grenzsoldaten zu schaffen. Gärtnerinnen und Gärtner, die in Berlin-West wohnen und in Berlin-Ost einen Garten haben, kommen jetzt nicht mehr dorthin. Umgekehrt genauso. Die Mauer schneidet auch durch unseren Kiez und teilt Berlin entzwei.

Wir können uns doppelt glücklich schätzen, dass es unsere Kolonie noch gibt. In Berlin-West gehen zu Gunsten des dringend benötigten Wohnungsbaus zwischen 1949 und 1954 sechzehn Prozent der Kleingartenfläche verloren, zwischen 1959 und 1964 fast nochmal so viele. In Neukölln verschwinden 2.000 Parzellen.

Es werde Licht – und Wasser

Zu Wasser und Strom sei Folgendes berichtet:

Diese Absätze stammen aus der Chronik zu unserem 100-jährigen Vereinsjubiläum. Autorin war im Jahr 1998 unsere langjährige 2. Vorsitzende Ilse Auert. Sie hat auch die alten Pachtverträge und Aktennotizen aus unserer Vereinsgeschichte zusammengetragen.

Mit Bettlaken gegen das Verschwinden

Unsere Kolonie stand nie auf öff entlichem Grund. Zunächst war ausgewiesenes Bauland in Privateigentum, auf dem dann nie gebaut wurde. Dann ging es in den Besitz der Reichsbahn über. Wann genau, wissen wir nicht. In den drei Westzonen wurde nach 1945 aus der Reichsbahn die Deutsche Bundesbahn. Aber in West-Berlin waren die Verhältnisse komplizierter. Nun verpachtet eine „Eisenbahn-Landwirtschaft Bezirk Westberlin e. V.“ das Grundstück an den „Bezirksverband Berlin-Süden“ zur Weiterverpachtung an die Kolonie Loraberg. Unsere Kolonie ist mit 13.118 m2 angegeben. Vier weitere Kolonien stehen in diesem Vertrag: Kolonie „Unverzagt“ (Wildenbruchstr. 25-28), Kolonie „Zinnia“ (Wildenbruchstr. 28), Kolonie „Elsengrund“ (Elsenstr. 45-47, 48-49) und Kolonie „Wesertal“ (Roseggerstr. 18-21). Sie alle gibt es heute nicht mehr.

Ungemach nähert sich auch unserer Kolonie unter der behörden-ungetümen Bezeichnung „Flächennutzungsplan“ von 1964. Abermals haben wir Glück, unsere Nachbarn direkt gegenüber in der Harzer Straße haben Pech. In der Gemarkung von 1969 ist ihre Kolonie „Klondyke“ noch verzeichnet. Dann müssen sie Platz für die neue Hans-Fallada-Schule machen, die 1976 eingeweiht wird.

Der Flächennutzungsplan von 1984 sieht unsere Kolonie nicht mehr vor. Die Loraberger protestieren lautstark. Auf Bettlaken steht der Spruch: „Wer den Kleingärtner quält, wird nicht gewählt.“ Und der Protest zeigt Wirkung: Loraberg kommt als Koloniefläche zurück auf den Flächennutzungsplan.

Mit dem Fall der Mauer sind die alten Flächennutzungspläne von Berlin-West hinfällig. Die wiedervereinte Stadt muss neu gedacht werden. Der Druck auf eine verdichtende Flächennutzung ist erstmal raus: Auch Berlin-West hat jetzt wieder Zugang zu einem Umland. Mit Schreiben vom 21. Februar 2000 versichert uns der damalige Bezirksbürgermeister von Neukölln, Bodo Manegold:

In diesem FNP 94, wie auch in der Neubekanntmachung vom Oktober 1988, ist Ihre Koloniefläche nunmehr als Kleingartenfläche dargestellt. Der o. g. Bebauungsplan sieht ebenfalls Dauerkleingärten vor. Damit ist dieses Grundstück nicht anders nutzbar als mit einer Kolonienutzung. Auch ein Eigentümerwechsel kann daran nichts ändern.


Als sich Loraberg gegründet hat, gab es Dutzende, ja man kann fast sagen zahllose Laubenkolonien im unmittelbaren Umkreis. Außer unserer Kleingartenanlage sind im Harzer Kiez nur wenige Kolonien erhalten: Harztal-Wilde Rose, Weidentahl und Petersbaude (auf einem gemeinsamen Grundstück an der Harzer Straße), Rübezahl an der Teupitzer Straße sowie NCR und Kühler Grund an der Sonnenallee.

Beständigkeit im Wandel

So wie ein Beet jeden Morgen anders aussieht als noch am Tag zuvor, so befindet sich auch unsere ganze Kolonie in einem steten Wandel. Aber sie bietet auch Beständigkeit. Gerade in einer belebten Stadt ist eine Gartenkolonie „ein Ort der Begegnung für Freunde und Familien, an dem man die Seele baumeln und den Alltagsstress einfach mal vergessen kann“, wie der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln Martin Hikel in seinem Grußwort zu unserem 125-jährigen Jubiläum schreibt. Michael Jubelt, Erster Vorsitzender des Bezirksverbandes Berlin-Süden der Kleingärtner e.V., ergänzt in seinen Glückwünschen, dass unsere Kolonie „die Werte von Nachhaltigkeit, Naturbewusstsein und sozialer Verbundenheit“ verkörpert. In unserer Kolonie gärtnern, ernten und feiern alte und junge Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Religion und sexueller Orientierung gemeinsam. Wir sind ein bunter Querschnitt der Gesellschaft, und wir freuen uns über die Vielfalt.

Unsere kleine „Oase“ Loraberg spielt eine wichtige soziale Rolle – in jeder Parzelle, in der Kolonie als Ganzes und darüber hinaus. Zusammen mit unserer Nachbarkolonie Harztal-Wilde Rose sind wir als soziale Institution Mitglied im Quartiersrat Harzer Kiez. Anwohnende und Einrichtungen aus dem Kiez setzen sich dort für die Interessen unserer Nachbarschaft und für ein besseres Zusammenleben ein. Unsere Kolonie steht in engem Austausch mit dem Quartiersmanagement Harzer Straße, welches uns bei der Vernetzung und bei Projekten unterstützt. Neben dem Loraberg-Projekt „Jeder Apfel zählt“, bei dem wir regelmäßig Obst und Gemüse einsammeln, um es zu spenden (z. B. an LAIB und SEELE / Berliner Tafel), sind wir auch in geförderten Kiezprojekten wie HarzAcker – Gemeinsam Gärtnern (Parzelle X) und bei den Harzer Kiezfesten (Global Music Academy) aktiv. Zudem sind wir mit lokalen Unternehmen und Institutionen sowie mit Vertreter:innen der Politik vernetzt, z.B. mit dem Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr in Neukölln Jochen Biedermann und mit Hakan Demir, dem Bundestagsabgeordneten für Neukölln.

Nach innen und nach außen hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Um die Sicherheit zu erhöhen, haben wir die Treppen an der Harzer Straße komplett erneuern lassen. Damit unsere Mitglieder und unsere Gäste noch mehr Freude haben, sich zu treffen, haben wir den Vereinsplatz saniert. Und es gibt dort nun die sehr gemütliche Lora-Lounge. Auch unsere Außendarstellung ist moderner geworden: Wir haben ein Design samt Logo entworfen und – wie ihr seht – eine Webseite gestaltet, auf der wir zu aktuellen Themen und Terminen informieren sowie Tipps rund ums Kleingärtnern veröffentlichen. Ebenfalls was die bürokratischen Anforderungen angeht, haben wir einiges aufgearbeitet, wie unsere Satzung, Geschäftsordnung und viele weitere Vereinsdokumente für die Eintragung des Vereins ins Vereinsregister und die Anerkennung der Gemeinnützigkeit.

Lora-Lounge
Lora-Lounge – das neue Herzstück des Vereinsplatzes bringt Urlaubsfeeling

Berlins Kleingartenentwicklungsplan

Der erste „Kleingartenentwicklungsplan“ (KEP) des Berliner Senats von 2004 bezeugt ein positives Umdenken in Bezug auf die Berliner Kleingärten. In den Jahren 2010 und 2014 wurde er fortgeschrieben. 2020 folgte der aktuelle Kleingartentwicklungsplan 2030.

„Kleingärten sind ein Markenzeichen und ein Alleinstellungsmerkmal Berlins (...). Sie bilden eine historisch gewachsene, kulturelle, ökologische und soziale Ressource in Berlin. Besonders in dicht bebauten Wohngebieten schaffen Kleingärten einen Ausgleich. Junge und alte Menschen, Familien und Migrant*innen treffen in Kleingärten aufeinander. Kinder können hier spielen und etwas über das Gärtnern lernen. Die ältere Generation nutzt die Bewegung bei der Gartenarbeit. Das menschliche und gesellschaftliche Miteinander unterschiedlicher sozialer Schichten mit gemeinsamen Interessen wird gepflegt. Kleingärten besitzen eine wichtige Funktion im Naturhaushalt. Sie stellen wirksame ökologische Verbindungen und klimatische Ausgleichsräume in der Stadt dar.“

Im KEP wird auf fast 100 Seiten mit ausführlichen Statistiken und Kartenmaterial der Bestand der Berliner Kleingärten nach städtebaulichen, demografischen und ökologischen Aspekten eingeordnet und bewertet.

Aus städtebaulicher Sicht gibt es mehrere Entwicklungskategorien. Unsere Kolonie ist in Kategorie 2, „dauerhaft zu erhaltende Kleingärten mit Handlungsbedarf“ eingruppiert. Dies ist die bestmögliche Kategorie für Kleingärten, die nicht auf öffentlichem, sondern auf privatem Grund stehen, was auf uns zutrifft. Sie sind im Flächennutzungsplan als „Grünfläche-Kleingärten“ dargestellt und „planungsrechtlich als Außenbereich zu bewerten. Eine bauliche Nutzung ist daher nicht genehmigungsfähig.

In der Kategorie „Kleingartenanlagen und ihre Schutzwürdigkeit aus stadtklimatischer Sicht“ werden wir mit der Bestnote „höchste“ bewertet.

In der Kategorie „Kleingartenanlagen und die Schutzwürdigkeit der Böden“ werden wir mit „sehr hohe Schutzwürdigkeit“ bewertet.

In der Kategorie „Bedeutung von Kleingartenanlagen im urbanen Kontext“ werden wir mit „sehr hohe Bedeutung“ bewertet. Das steht in direktem Zusammenhang mit dem Auswertungsergebnis, welches das Quartier rund um die Harzer Straße als „schlecht versorgt“ mit wohnungsnahen Grünanlagen einstuft.

Auf die nächsten 125 Jahre

Im Jahr 1900 beschreibt ein französischer Journalist seine Eindrücke bei der Anreise nach Berlin:

Wenn man sich, von Norden, Süden, Westen oder Osten kommend, nach endloser Fahrt durch flache, einförmige, öde und unfruchtbare Landstriche, durch Tannenforste, Runkelrübenäcker und Kartoff elfelder, Berlin nähert, bietet sich dem Auge ein eigenartiges Bild, dem ich außerhalb Deutschlands noch nirgends begegnet bin. Man stelle sich weite, in lauter Rechtecke von 20 Metern Länge und 10-15 Metern Breite, eingeteilte Flächen vor; Holzzäune oder auch einfache Drähte trennen die einzelnen Abteilungen voneinander, auf deren jeder sich rohgezimmerte Bretter buden erheben. Das nennen die Berliner: „Die Lauben.“

Einige dieser rohgezimmerten Bretterbuden haben unsere Vorgängerinnen und Vorgänger in Pionierarbeit auf den sumpfigen Cöllnischen Wiesen erbaut, und ihr Werk „Loraberg“ getauft. Worauf sich dieser Name genau bezieht, ist leider nicht überliefert. Es gibt keinen Loraberg – auch nicht im Harz. Wir vermuten, dass der Name auf „die Lora“ Bezug nimmt. Dies war ein Tresterwein, ein mit Wasser verdünnter Wein aus Traubenresten, welcher schon in der Antike beliebt war. Da er einfach und günstig herzustellen war, nannten die Römer ihn auch „vinum operarium“, also einen Arbeiterwein. Dieser Bezug würde zu den sozialdemokratischen Wurzeln unserer Kolonie passen.

Unsere schöne Kolonie ist nicht nur eine kleine grüne Lunge zwischen Beton und versiegelten Flächen. Sie ist auch eine Zeugin der Berliner Geschichte und ein Zeugnis urberliner Stadtkultur. Wir sind froh, einen positiven Beitrag zum Stadtklima zu leisten – wortwörtlich und im übertragenen Sinn.

Das alles gilt es zu bewahren!

Loraberg – Luftbild 1998
Loraberg – Luftbild 1998

Danksagung

Recherche und Text: Linn Sackarnd und Boris Behnen

Wir bedanken uns herzlich bei Linn und Boris für das Erstellen dieser Chronik anlässlich unseres 125-jährigen Jubiläums.

Wir bedanken uns auch herzlich bei unserem Ehrenmitglied und unserer vormaligen Vorsitzenden Ilse Auert. Diese Chronik baut auf der Chronik von Ilse auf, welche sie für das 100-jährige Bestehen unserer Kolonie erstellt hatte.

Fotos: Privat, sofern nicht anders angegeben